Sich Zeit für Wichtiges nehmen
„Wer darauf wartet, für wichtige Dinge Zeit zu haben, dem läuft sie davon.“
(Else Pannek, 1932 – 2010, deutsche Lyrikerin)
Vielleicht kennen Sie diesen Gedanken auch:
Wenn ich erst XYZ gemacht/erreicht habe, dann kann ich endlich tun, was mir wichtig ist/ich schon immer tun wollte …
Und wie häufig passiert es, dass sich dann diese Zeit für das Wichtige niemals wirklich ergibt? Meine Erfahrung ist: Zeit ergibt sich nie, man muss sie sich nehmen, sonst läuft sie einem – wie Frau Pannek sagt – sprichwörtlich davon.
Schmerzlich
In der letzten Woche habe ich eine Person verloren, die mir nahestand. Und schmerzlich kam sofort der Gedanke in mir auf: Gerade jetzt hatte sie doch erst angefangen, wieder neu zu leben! Gerade jetzt war ihre Wartezeit zu Ende, gerade jetzt hätte sie so viel selbstbestimmter das für sie Wichtige tun können. Doch es sollte nicht so sein, plötzlich und ohne Vorwarnung war ihr Leben zu Ende.
Das Schicksal ist ungerecht. Bis vor kurzem hatte sie ihren sehr kranken Mann über Jahre hinweg begleitet und wollte nun nach seinem Abschied wieder all das tun, das ihr so lange nicht mehr möglich war. Wir freuten uns für sie. Dass sie ihrem Mann jedoch so schnell nachfolgen würde, damit hatte niemand gerechnet. Ich spüre großes Bedauern angesichts der ihr entgangenen, weil doch gerade erst entstandenen Möglichkeiten neuer Lebensgestaltung. Ich spüre Trauer über verlorene gemeinsame Tage, die noch hätten möglich sein können. Ich spüre noch den Unwillen, mich mit der Unabänderlichkeit des Schicksals abzufinden.
Was ist wirklich wichtig?
In diesen Tagen inneren „Jammerns“ über die Ungerechtigkeit des Schicksals begegnete mir die Frage: Was ist wirklich wichtig? Sie weckte etwas in mir. Ich spürte Aufbruchstimmung. Ich spürte, wie nichts und alles wichtig sein konnte. Ich wiederholte im Geist immer wieder diese Frage. Ich hatte eine Ahnung, dass mir eine Antwort irgendwie Türen öffnen, mich in einen besseren Gefühlszustand bringen würde.
Nichts ist wirklich wichtig, sondern es wird erst wichtig, wenn wir ihm Bedeutung geben. Mir wurde plötzlich sehr deutlich, dass uns die Zeit nicht davonlaufen kann, wenn wir uns die Wichtigkeit unseres Tuns und Handelns, unserer Aufgaben und unseres Hier-Seins bewusst machen. Ich frage mich, was für mich wichtig ist. Für mich ist es zum Beispiel jetzt wichtig, diesen Newsletter zu schreiben. Nachher ist es wichtig, ein Essen zuzubereiten. Auch der spätere Spaziergang mit meinem Hund ist mir wichtig und dass ich danach ein wenig in der Sonne sitze. Alles zu seiner Zeit.
Und weil ich mir die Bedeutung bewusst machen kann, verstehe ich auch besser, was wirklich für mich zählt, von Tag zu Tag. Ich verstehe, dass auch weniger wichtige Dinge ein Teil des Ganzen sind. Bei genauerer Betrachtung wird mir klar, dass es Abstufungen geben muss, nicht alles gleich wichtig sein kann und auch Unwichtiges seine Berechtigung im bewegten Auf und Ab allen Lebensflusses hat.
Jeder Tag zählt
Was fängst du heute an,
mit den kostbaren Augenblicken
genau dieses einen Tages?
Jeder Moment zählt
Wie lässt du dich von
einem Blick,
einem Lächeln,
einem Wort
berühren?
Jede Empfindung zählt
Wie verschenkst du deine Einzigartigkeit,
nimmst du die Einzigartigkeit anderer an?
Lass dich berühren
und erlaube dir,
jeder Empfindung
bewusst zu begegnen.
Jeder Atemzug zählt.
Atme.
Sei wach.
Höre genau hin.
Sieh die Welt an.
Atme das Leben.
(Konstanze Quirmbach)
aus: Geschenkte MOMENTE. Gedichte und Fotografien
von Konstanze Quirmbach, 2016
Versöhnlich
Es stimmt mich nach all diesen Gedanken versöhnlich zu erkennen, dass meine Tante schon immer das gelebt hat, was ihr wichtig war. Sie hat nicht darauf gewartet, noch Wichtigeres tun zu können, sondern sie hat immer das ihr Wichtige getan. Ihr konnte die Zeit nicht davon laufen, sie hat sie in ihrem eigenen Sinne bedeutungsvoll genutzt.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen die Größe zu erkennen, was für uns von Bedeutung ist und wie wir es von Tag zu Tag leben können.
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